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Mehr theoretische Durchdringung und kritische Selbst-Aufklärung bei der Erforschung der neuen Pflegeausbildung


Wissenschaftlich betrachtet muss es parallel zu empirischen Erforschungen darum gehen, empirische Ergebnisse zusätzlich theoretischen Betrachtungen zu unterziehen und sie im Kontext von Theorien zu verstehen. Nach Fleck (1980 [1935]), vgl. Sabisch 2017) sollen dabei Ideen und Entdeckungen nicht nur empirischer Art in den intrakollektiven Denkverkehr aufgenommen werden und das stilgemäße Wissen ergänzen und verändern.

Die Denkfigur „Grätsche“ soll als Metapher das Verhältnis zweier rivalisierender oder zusammentreffender Gegenstandsbereiche versinnbildlichen, die einer geistigen und/ oder tätigen Überbrückung bedürfen. Mit dieser Metapher lassen sich Problembereiche der Theorie-Praxis-Vernetzung in der Pflegeausbildung theoretisch fassen und in den intrakollektiven Denkverkehr einbringen.

Das BiBB (Bundesinstitut Berufsbildung) ist nach § 60 Abs. 4 PflAPrV damit beauftragt, die berufliche und hochschulische Ausbildung zu erforschen (BiBB, 2018). Die bislang einsehbaren empirischen Erforschungen rund um die neue Pflegeausbildung betreffen auch das Verhältnis von Theorie und Praxis in all seinen bekannten Facetten. Unter dem Themenbereich des Forschungsprogramms „Neue Pflegeausbildungen etablieren“ sind die Schwerpunktthemen Lernortkooperation, Ausbildungsverbünde und Praxisanleitungen gefasst. Damit sind Themen gesetzt, die typischerweise in der Pflegeausbildung immer wieder behandelt werden, immer neue Untersuchungen herausfordern und mit didaktischen Konzepten und Konstruktionen gelöst werden wollen. Dabei enthält die Theorie-Praxis-Vernetzung einen Pool von Problemen, die sich trotz stetiger und anwachsender Bemühungen zwar besänftigen lassen, aber bislang keine Erlösung erfahren.

Der Soziologe Friedrich Jonas (1981: 196) schreibt treffend:
„Die Fragestellung, die Methoden, kurzum der Erkenntnisgegenstand einer bestimmten Wissenschaft werden uns verständlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche Wahrheit hier oder dort gesucht wird, was man wissen will und was man aus eben diesem Grund nicht fragt.“
Nach Weber (zit. n. Jonas 1981: 197) ist wissenschaftliche Erkenntnis in den Sozialwissenschaften auch immer bezogen auf eine bestimmte Erkenntnisabsicht und den Erkenntniswillen des Subjekts, da es hier nicht um allgemeine Gesetze geht, die überzeitlich Geltung haben, sondern um die Besonderheit bestimmter Erscheinungen.

So ist die Denkfigur „Grätsche“ nach Brinker-Meyendriesch (2001, 2006, 2015, 2022) als ein Problemindikator (SPI Straddle Problem-Indicator) zu verstehen, der auf eine bestimmte Angelegenheit verweist. Es wird in einem kritischen Bewusstsein eine systemische Analyse vorgenommen, die sich über mehrere Ebenen erstreckt – von einer Mikroebene bis zu einer Makroebene des Staates und der Gesellschaft (vgl. Kell 1989, 2015; Bronfenbrenner 1981).


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15.05.2023