Rettungswissenschaft – Grundlagen, Theorien und Perspektiven

Rettungswissenschaft Grundlagen Theorien und Perspektiven 2von Thomas Prescher, Christian Bauer, Sebastian Koch, Thomas Hofmann, Rolf Dubb (Hrsg.)

Stuttgart, Kohlhammer, 2023, 374 Seiten, 49,00 €, ISBN 978-3-17-040840-1

Mit Beiträgen von: Thomas Prescher, Christian Bauer, Rolf Dubb, Thomas Hofmann, Sebastian Koch, Sascha Bechmann, Peter Bradl, Bettina Braunschmidt, Philipp Dahlmann, Friedrich Gabel, Michael Garkisch, Michael Göschel, Sebastian Grau, Philipp Junkersdorf, Heiko König, Robert Konrad, Alexander Krohn, Benjamin Liedy, Tim Loose, Berthold Petri, Stefanie Popp, Melanie Reuter-Oppermann, Patrick Ristau, Tobias Schilling, Dominik Warnstorff und Christian Wiesner.

Der Sammelband „Rettungswissenschaft: Grundlagen, Theorien und Perspektiven“ ist eine wegweisende Publikation, die erstmalig im deutschsprachigen Raum die Fachdisziplin der Rettungswissenschaft diskutiert und umfassend behandelt. Diese befasst sich mit der Erforschung und Weiterentwicklung von Rettungsdienst- und Notfallversorgungssystemen.

Eine erste Initiative in diesem Bereich ging von der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften e. V. (DGRe) aus. Mit deren Gründung als Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft im Rettungsdienst e. V. (GzFWR) im Jahr 2019 und anschließender Umbenennung zur DGRe entstanden erste Diskussionen zur Theoriebildung in den Rettungswissenschaften. Aufbauend auf dem Graduierten-Forum der DGRe und den Diskussionen auf den ersten ‚Foren Rettungswissenschaften‘ entstand der Sammelband „Rettungswissenschaft: Grundlagen, Theorien und Perspektiven“, welcher einen umfassenden Überblick über die grundlegenden Aspekte, Theorien und zukünftigen Perspektiven der Rettungswissenschaft liefert.

Die Herausgeber des Buches handelt es sich um Prof. Dr. habil. Thomas Prescher, Prof. Dr. Christian Bauer, Rolf Dubb, M. A., Thomas Hofmann, M. A., und Prof. Dr. Sebastian Koch. Sie bringen jeweils ihre spezifischen Fachkenntnisse und Erfahrungen ein: Ihre Expertise erstreckt sich von Didaktik und Wirtschaftsinformatik bis zu Notfallsanität, Notfall- und Intensivpflege sowie Medizinpädagogik, wodurch sie vielfältige Perspektiven, Fachkenntnisse und Erfahrungen in das Buch ein, um die Rettungswissenschaft voranzutreiben und praxisorientierte Empfehlungen zu entwickeln. Die 26 Autoren der Beiträge sind ebenfalls Expert*innen auf Ihrem Gebiet und haben ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in diese Publikation einfließen lassen.

Der Sammelband bietet einen umfassenden Überblick über den Aufbau und die Gliederung der aufstrebenden Disziplin: Er beginnt mit einer Einführung in die verschiedenen Forschungsfelder und Gegenstandstheorien dieser Disziplin. Anschließend wird die wissenschaftliche Grundlage der Rettungswissenschaft diskutiert, einschließlich ihres erkenntnistheoretischen Potenzials und ihrer phänomenologischen Annäherung an das Rettungswesen. Das Buch behandelt daneben die Bedeutung der Rettungswissenschaft für die Notfallmedizin, die Auswirkungen auf die Rechtswissenschaft und die verschiedenen Einflussbereiche, Akteure und Funktionen in der Rettungswissenschaft. Es befasst sich zudem mit der Professionalisierung des Rettungsdienstes, der Institutionalisierung ethischer Fragen, dem System und der Organisation des Rettungsdienstes sowie der Versorgungsforschung. Weitere Themen sind die Patientensicherheit, die Zusammenarbeit zwischen Präklinik und Klinik, das Management und die Führung im Rettungsdienst sowie die Bildung und Ausbildung im Rettungswesen.

Auf 374 Seiten ist die Publikation vom Verlag professionell und übersichtlich gestaltet. Die wissenschaftlichen Beiträge sind mit 20 einfachen Abbildungen und 18 Tabellen sowie umfangreichen Quellenangaben nach jedem Beitrag versehen.

Mit Blick auf die aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen der Notfallversorgung liefert die Publikation unter anderem Vorschläge für neue Wortbedeutungen und Begrifflichkeiten im Rettungsdienst, des sich wandelnden Berufsfelds und den künftigen wissenschaftlichen Diskurs. Die Publikation bringt einige neue Erkenntnisse in das Feld der Rettungswissenschaft ein. Sie bietet einen umfassenden Überblick über das Fachgebiet und präsentiert eine Vielzahl von Theorien der Praxis, Konzepten und Perspektiven. Das Buch ist nützlich sowohl für Fachleute als auch für Interessierte, die ihr Wissen über Rettungswissenschaften erweitern möchten.

Um das Ziel erstmalig ein „Model der Rettungswissenschaft auf dessen Grundlage Forschungsfelder und -gegenstände für die Praxis sowie die Aus- und Weiterbildung“ zu etablieren, muss die Strukturierung des Felds und der Ebenen in der zentralen Abbildung 1.3 und Kapitel 1.4 und 1.5 zukünftig – wie jede (Meta-)Theorie – weiter diskutiert und im Zuge darauf aufbauender Forschungsvorhaben empirisch untermauert werden. International existiert hierzu bereits eine Vielzahl von empirischen Modellen in der im englischsprachigen Raum vorläufig als „Paramedicine“ oder „Paramedic Science“ bezeichneten Feld: Die ‚Space-Control Theory of Paramedic Scene Management‘, die drei Rahmenkonzepte des ‚Canadian Paramedic Profile‘, die ‚Four Dimensions of Paramedic Practice‘ aus Kanada und der auch hier bekannte ‚College of Paramedics Career Framework‘ aus dem Vereinigten Königreich erscheinen anschlussfähig und sollten in der Diskussion zur beginnenden Professionalisierung und Institutionalisierung an deutschen Hochschulen in Bezug gesetzt werden und in einer möglichen Fortsetzung des Sammelbandes zusätzliche Berücksichtigung finden.

Qualifikationsschriften und Sammelbände anderer Wissenschaftsdisziplinen beleuchten zunehmend den Rettungsdienst, z. B. aus soziologischer oder geschichtswissenschaftlicher Perspektive; dennoch sind bisher keine weiteren Publikationen zur Disziplin der Rettungs- oder Notfall(-Sanitäter-)Wissenschaften im deutschsprachigen Raum bekannt. Nicht zuletzt daher ist „Rettungswissenschaft: Grundlagen, Theorien und Perspektiven“ ein empfehlenswertes Werk für alle, die sich über den aktuellen Stand dieser in Deutschland jungen Disziplin informieren und an der Diskussion partizipieren oder zur empirischen Weiterentwicklung der Rettungswissenschaft(en) beitragen möchten. Das Buch bietet einen umfassenden Überblick über die Thematik und ist sowohl für Fachleute als auch für Interessierte zugänglich. Es bringt neue Erkenntnisse in das Feld ein und ist eine wertvolle Ressource für die künftige Auseinandersetzung mit der Rettungswissenschaft.

Eine Rezension von Andreas Wagenplast

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Entwicklungen im Lehramt – Ergebnisse qualitativer Forschung

entwicklungen im lehramt fpr gesundheit und pflegevon Astrid Seltrecht (Hrsg.)

Mabuse, Frankfurt a. M., 2022, 254 Seiten, 38,00 €, ISBN 978-3-86321-410-4, 38,00 Euro

An der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg werden Lehrer*innen in der Fachrichtung Gesundheit und Pflege ausgebildet. Die Herausgeberin veröffentlicht – einer umfangreichen Einführung folgend – 25 Forschungen (Masterarbeiten) von Studierenden in einem Sammelwerk, um deren Forschungen für die Wissenschaft sichtbar zu machen und in den fachlichen Diskurs einzubringen.

Astrid Seltrecht ist Inhaberin des Lehrstuhls Berufliche Didaktik personenbezogener Dienstleitungsberufe – mit Schwerpunkt Fachdidaktik unter besonderer Berücksichtigung des Konzepts Doppelter Fallbezug. Die Autorenschaft ist homogen und besteht aus Studierenden des o.a. Studienganges, der Herausgeberin selbst und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen.

Aufbau

Das Sammelwerk setzt sich zusammen aus der Einleitung (Teil 1) der Herausgeberin, in welcher sie auf das Fallverstehen eingeht. Zusammen mit Vivienne Thomas folgt eine Abhandlung zu qualitativer Forschung bzw. zur Grounded Theory mit einer Kodieranleitung für Studierende. Dem schließt sich ein Arbeitsbogen „Forschungslogik“ mit dem Handwerkszeug zur Forschungsarbeit von Vivienne Thomas an.

Weitere Beiträge der Autor*innen sind den Teilen 2 bis 5 zugeordnet:
Teil 2 Professionalisierung von Lehrkräften der beruflichen Fachrichtung Gesundheit und Pflege
Teil 3 Professionalisierung am Lernort Schule
Teil 4 Professionalisierung am Lernort berufliche Praxis
Teil 5 Gesundheits- und pflegewissenschaftliche Forschung zu beruflichen und außerberuflichen Gesundheits- und Pflegeleistungen

Es handelt sich bei den Teilen 2 bis 5 um Autoren­kollektive von zwei und nur zweimal drei Studierenden, wobei die Herausgeberin zweimal auch Mitautorin ist und ansonsten Vivienne Thomas und Bianca Lange oftmals als Mitautorinnen erscheinen. Es handelt sich mit einer Ausnahme um Autorinnen.

Inhalt

Teil 1 Einleitung
Astrid Seltrecht: Lehramtsstudiengang in der beruflichen Fachrichtung Gesundheit und Pflege an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Astrid Seltrecht erklärt das Konzept des Doppelten Fallbezugs, das Konzept Evidence-based practice, das des Forschenden Lernens sowie die Verzahnung von fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Studienanteilen als konstitutiv für den Studiengang. Sie konkretisiert das Ziel und den Aufbau des Buches – wobei betont wird, dass die Forschungsarbeiten Studierender zu wenig in der Fachöffentlichkeit diskutiert würden. In diesem Sammelwerk gehe es – so Seltrecht – deshalb darum, möglichst viele Arbeiten vorzustellen, ohne dabei bei der Vorstellung der Masterarbeiten in die Tiefe gehen zu können. Jeweilige Co-Autor*innen sind wissenschaftliche Mitarbeiter*innen bzw. sie selbst, die die Studierenden bei der Verfassung der Beiträge unterstützt haben. Bei den Forschungsarbeiten handelt es sich um Masterarbeiten. Diese Beiträge weisen immer dieselbe Systematik auf.

Astrid Seltrecht: Fallverstehen im pädagogischen Handeln und im qualitativen Forschungshandeln. Zur Bedeutung von Hermeneutik in der Lehrer*innenbildung
Im Unterricht geht es zum Unterrichtsbeginn und im weiteren Verlauf immer wieder darum, Situationsdefinitionen auszuhandeln. Das ist ein Prozess, in dem sich mit Bezug auf Habermas (2016, 1987) um Verständigung bemüht wird. Dies erfordert eine Ordnung für Kommunikationsprozesse – z. B. sprachliche Äußerungen, die sich auf den Gegenstand des Gesprächs, auf das Setting oder auf das Beziehungsgefüge beziehen können. Dabei zieht die Autorin die fünf Ordnungs­ebenen von Kallmeyer und Schütze (Kallmeyer/Schütze 1977, Kallmeyer 1977) heran. Diese Ordnungsebenen gelten auch für Forschungskommunikation. Insofern verbessert sich mit qualitativer Forschung auch die pädagogische Kommunikation. Die Autorin zieht „Verbindungslinien zwischen qualitativer Forschung und Lehrerhandeln“ (S. 23 ff) mit den Textabschnitten: „Gesprächsführung zwischen Spontanität und Restriktivität“, „Leitfadenbürokratie und Unterrichtsentwurfsbürokratie“ und „Induktives Schließen und abduktives Schließen“. In einem weiteren Unterkapitel „Vom Fallbezug zum Fallverstehen“ geht Astrid Seltrecht dann darauf ein, dass es beim Fallverstehen eine Gemeinsamkeit zwischen qualitativer Forschung und Lehrer*innenhandeln gebe. Beim Lehrer*innenhandeln wiederum gebe es den pädagogischen Fallbezug und den gesundheits- und pflegespezifischen Fallbezug (Abbildung 1, S. 31). Die Gemeinsamkeit zwischen Fallbezug und Fallverstehen wird im Weiteren in Hinblick auf das „Verstehen „erklärt, wobei auch auf Hermeneutik eingegangen wird.
Vivienne Thomas, Astrid Seltrecht: Zur Entstehung qualitativer Forschung unter besonderer Berücksichtigung der Grounded Theory. Kodieranleitung für Studierende

Nachdem nun einige Grundsätze und Anschauungen von der Herausgeberin erklärt sind, geht sie zusammen mit der weiteren Verfasserin auf die „Entstehung der qualitativen Forschung“ und den Methodenstreit gegenstandsangemessener Methoden „für eine auf das soziale Handeln ausgerichtete Sozialforschung“ ein (S. 35 ff) – um dann im Folgenden auf die Entstehung und Entwicklung der Grounded Theory zu kommen. Im Vorfeld dazu gibt es einen Streifzug durch verschiedenste Philosophien wie den Positivismus, den Kritischen Rationalismus und die Kritische Theorie. Dabei geht es auch um die Bedeutung der ersten und zweiten Chicagoer Schule und die Theorie des symbolischen Interaktionismus (begründet von Herbert Blumer; S. 38-39). Mit der Etablierung der qualitativen Forschung als eine eigene Disziplin entwickelten Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss die Grounded Theory. Diese bildete sich – auch mit weiteren Verfasser*innen wie z. B. Juliet Corbin und Franz Breuer – in mehreren Varianten aus. Thomas und Seltrecht konzentrieren sich auf Strauss und Corbin – und hierbei ausführlich auf deren Codierverfahren – und auf den Entwurf einer gegenstandsverankerten Theorie und inkludieren auch die.

Noch grundsätzlich und einführend bleibend folgt das Kapitel von Vivienne Thomas, in dem der „Arbeitsbogen Forschungslogik“ „mit Handwerkszeug zur Forschungsarbeit“ (S. 59 ff) mit einem Seitenumfang von gut 40 Seiten vorgestellt wird. Dabei geht es um den systematischen Aufbau einer Forschungsarbeit. Hier wird der gesamte Forschungsprozess unter den entsprechenden Überschriften mit einem „Tool zur Planung des Schreibprozesses“ (S. 66) detailliert erklärt. Das Kapitel wendet sich direkt an die Studierenden. Damit ist die Einleitung (S. 10-100) umfänglich abgeschlossen.

Der Teil 2 ist der Überschrift: Professionalisierung von Lehrkräften der beruflichen Fachrichtung Gesundheit und Pflege gewidmet.
Dort finden sich sechs Beiträge (S. 102-136) mit Ergebnissen folgender Forschungsthemen und -methoden: Ergotherapie – leitfadengestützte Interviews mit Lehrkräften; Chamäleon Effekt – narrative berufsbiografische Interviews zur sozialen Welt von Pflegelehrer*innen; Resilienz – Ergebnisse einer Biografieanalyse; Mediennutzung – problemzentrierte Interviews mit Lehrkräften; Reflexion professionellen Handelns – praxisreflektierende Videoanalyse; Achtsamkeit und Selbstwirksamkeit – systematische Literaturarbeit.

Diese Beiträge, und auch die weiteren, folgen immer kurz und konzentriert der vorher erklärten Systematik: Einleitung, theoretische Fundierung, methodische Konzeption, Analyse, Ergebnisse, Ausblick, Literatur.
Teil 3 ist überschrieben mit: Professionalität am Lernort Schule.
Unter der o. a. Überschrift sind acht Beiträge auf den Seiten 138 bis 186 forschungsthematisch und -methodisch mit den Ergebnissen kurz expliziert. Behandelt werden: Curriculumentwicklung – Beobachtung und leitfadengestützte Interviews; Bedeutung ärztlicher Leitlinien Physiotherapielehrkräfte – leitfadengestützte Interviews; Sprachbarrieren von Migrant*innen – leitfadengestützte Expert*inneninterviews von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen; Auswirkungen des Entkleidens – episodische Interviews Schüler*innen und Lehrer*innen; „Tafeldienst“ – Unterrichtbeobachtungsprotokolle; Subjektive Gesundheitsstrategien Schüler*innen höherer Berufsfachschulen – Gruppendiskussionen; Ehrenamt Beratung Vertrauenslehrer*innen – leitfadengestützte Expert*inneninterviews; Qualitätsmanagement, Feedback-Kultur – Entwicklung eines Feedback-Instruments auf Basis eines Expert*inneninterviews.

Teil 4 Professionalisierung am Lernort berufliche Praxis
Sieben Beiträge mit Ergebnissen folgender Forschungsthemen und -methoden finden sich unter der o. a. Kapitelüberschrift auf den Seiten 188 bis 222: Transkulturell sensibles Pflegehandeln – Gruppendiskussion; Praxiseinsätze Pflegeausbildung – Gruppendiskussion; Berufliche Handlungskompetenz – qualitative Evaluation Schüler*innenstation; Rollenverständnis von Mentor*innen – episodische Interviews; Fortbildung Physiotherapie – leitfadengestützte Interviews; Lernprozessbegleitung praktische Physiotherapieausbildung – Expert*inneninterviews.

Teil 5 Gesundheits- und pflegewissenschaftliche Forschung zu beruflichen und außerberuflichen Gesundheits- und Pflegeleistungen
Der letzte Teil beinhaltet fünf Beiträge auf den Seiten 224 bis 254. Damit endet das Werk. Hier geht es ebenfalls konzentriert um Ergebnisse folgender Forschungsthemen und -methoden der Studierenden in ihren Masterarbeiten: Ethische Entscheidungsfindung ICN-Ethikkodex – qualitative Leitfadeninterviews; Ambulante Pflege – leidfadengestützte Expert*inneninterviews; Pflegebedürftige Angehörige von Pflegefachkräften – zwei Gruppendiskussionen; Entscheidungsprozesse in Familien – familiengeschichtliche Gespräche, Reflexion; Agrarfamilien Angehörigenpflege – narrative Einzelinterviews.

Diskussion

Das Sammelwerk beinhaltet in gebündelter Form ein Kaleidoskop von Forschungsthemen mit den Forschungsmethoden und Ergebnissen der beruflichen Fachrichtung Gesundheit und Pflege. Das Buch mit seinen Beiträgen ist den hochschuldidaktischen Schriften der Lehrerbildung in Bezug auf „Forschendes Lernen und Forschen Lernen“ zuzurechnen.

Interessierte Studierende bekommen konzentriert die Grundlagen qualitativer Forschung vermittelt und ein Arbeitsinstrumentarium vorgestellt, sodass sie sich an den Beiträgen orientieren können. Wegen der durchgehend gleichen Struktur der Forschungsbeiträge besteht eine gute Vergleichbarkeit für alle Rezipient*innen.

Auch Dozierende, Hochschullehrende und beruflich Lehrende haben die Möglichkeit, Rückschlüsse für ihre eigenen Veranstaltungen usw. zu ziehen. Über diesen praktischen Nutzen hinaus hat das Sammelwerk – auch wegen der gut erklärten Systematik, seiner Einordnung in die qualitative Forschung sowie seiner Anschaulichkeit durch die Kurzbeiträge der Autor*innen – einen exemplarischen Charakter und kann als hochschuldidaktischer Gewinn für die berufsbildende Lehrer*innenbildung angesehen werden.

Herauszuheben ist eine Verbindung von pädagogischem Handeln und qualitativer Forschung hinsichtlich der Kommunikation. Ersichtlich wird, welchen Wert die qualitative Forschung – über ihren eigenen Sinn hinaus – für berufliche Lehrer*innenbildung haben kann.

Aus eigener Lehr- und Forschungspraxis entstanden, kann die Hochschullehrerin Astrid Seltrecht durch die Erarbeitung und Veröffentlichung des Werkes im Sinne einer internen Evaluierung selbst Nutzen aus dem Werk ziehen und gleichzeitig die wissenschaftliche Kommunikationskultur fördern. Das gilt insbesondere auch für die Masterabsolvent*innen als mögliche Nachwuchswissenschaftler*innen, die diese wissenschaftliche Kommunikationsmöglichkeit nutzen, um sich mit der Community mittels schriftlicher Verbreitung auszutauschen. Deshalb erscheint es wertvoll, über dieses Werk mit seinen vielfältigen forschenden Ausarbeitungen an die wissenschaftliche Debatte anschließen zu wollen. Letzteres könnten sich motivierte Leser*innen des Sammelwerkes hier allerdings auch ausgiebiger wünschen: nämlich einen zumindest kurzen Abgleich mit den bestehenden – aber noch wenigen – hochschuldidaktischen Konzepten von „Forschendem Lernen und Forschen Lernen“ speziell in der Lehrer*innenbildung der beruflichen Fachrichtung Gesundheit und Pflege. Gerade hier müssten die wenigen bestehenden Konzepte diskursiv aufgegriffen und gewürdigt werden, damit die sich noch in der Werdensphase befindliche Disziplin der Lehrer*innenbildung der Gesundheitsberufe sich in Forschung und Lehre an den Hochschulen und Universitäten weiterentwickeln kann und auch diesbezüglich Konturen annimmt und entsprechend Substanz bietet. Dieses Minus ist der Wermutstropfen dieses Bandes. Für sich stehend ist das Werk wertvoll und ein forschungsmäßig begründetes, aufbereitetes und gut rezipierbares Lehr-Lern-Beispiel der Hochschuldidaktik der Lehrer*innenbildung. Möge es seine rege Verbreitung und Beachtung finden.

Eine Rezension von Prof. em. Dr. Elfriede Brinker-Meyendriesch

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Ausbildungsberufe – Berufliche Identität und Arbeitsethik: Eine Herausforderung für die Berufsentwicklung und die Berufsausbildung

ausbildungsberufe felix raunervon Felix Rauner

Springer, Berlin Heidelberg, 2019, 240 Seiten, 34,90 €, ISBN 978-3-643-14419-5

Autor: Prof. Dr. Dr. h.c. Felix Rauner ist ein deutscher Berufsbildungsforscher und Hochschullehrer, Leiter der Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung der Universität Bremen sowie Advisory Professor an der East China University in Shanghai. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die duale Ausbildung, die international vergleichende Berufsbildung sowie die Large-Scale-Kompetenzdiagnostik in der beruflichen Bildung.

Mitwirkung an der Publikation: Nele Bachmann, Jenny Franke, Jenny Frenzel, Ursel Hauschildt, Lars Heinemann, Johanna Kalvelage und Dorothea Piening

Weitere Publikationen von Felix Rauner: Kosten, Nutzen und Qualität der beruflichen Ausbildung, ITB. Grundlagen beruflicher Bildung – Mitgestalten der Arbeitswelt, wbv. Berufliche Kompetenzdiagnostik mit COMET – Erfahrungen und Überraschungen aus der Praxis, wbv. Berufliche Umweltbildung zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wbv. Measuring and Developing Professional Competences in COMET, Springer uvm.

Mehrere Studien zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung bilden die Grundlage für diese Publikation. Im Jahr 2016 wurde die Einstellung sächsischer Auszubildender zu ihrem Beruf und ihrer Ausbildung erhoben und im Rahmen eines Modellversuchsprojekt COMET NRW wurden im selben Jahr berufliche Kompetenzen gemessen. Beide Studien wurden in Zusammenarbeit mit dem Institut für Berufliche Bildung (IBB) an der Universität Bremen durchgeführt. Zuvor erfolgte im Jahr 2009 – ebenfalls unter Mitwirkung des IBB - die Erhebung von beruflichem Engagement und Ausbildungsorganisation als Auftragsstudie der IHK Bremerhaven. Neben dieser Erhebung wurden in dem vorliegenden Werk außerdem internationale Studien (China, Südafrika, Schweiz und Länder der EU) berücksichtigt.

In Projekten zur Qualitätssicherung und -entwicklung wurden ca. 5000 Auszubildende aus gewerblich-technischen, kaufmännischen und landwirtschaftlichen Bereichen sowie Beschäftigte der Dienstleistungsberufe befragt, inwieweit sich die Entwicklung beruflicher und betrieblicher Identität auf die berufsbezogene Leistungsbereitschaft und Ethik sowie die Kompetenzentwicklung der angehenden Fachkräfte auswirkt. Die Einzelergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Ausbildung im Wunschberuf trägt wesentlich zur Entwicklung beruflicher Identität und beruflichen Engagements bei. Eine gelungene Berufswahl führt vermehrt zur Berufszufriedenheit. Attraktive Ausbildungsberufe entstehen aus dem Identifikationspotenzial im Beruf sowie der Ausbildungsqualität. Letztendlich tragen die Beweggründe zur Berufsentscheidung maßgeblich zur Entstehung des beruflichen und betrieblichen Engagements bei.
Im 1. Kapitel wird die Methodik der Identitäts-Engagement-Studien vorgestellt und die Untersuchungsergebnisse sowie Handlungsempfehlungen werden begründet. Im 2. Kapitel werden ausgewählte Ergebnisse dokumentiert und diskutiert. Und in den Kapiteln 3-6 werden die Zusammenhänge zwischen der beruflichen Kompetenzentwicklung und Identität sowie der Ausbildungsqualität erhoben. Im 7. Kapitel begründet der Autor die Zukunftstendenzen der Berufsentwicklung. Rauner verwendet in seinem Buch mehrere Grafiken und Bilder zur besseren Verständlichkeit. Die Abbildungen sind gut platziert und aussagekräftig, die Bildqualität könnte jedoch besser sein (z. B. S. 15, 22, 23).
Felix Rauner bündelt in dieser Publikation unter Mitarbeit seiner Kolleg*innen die Ergebnisse der Berufsforschung und schlussfolgert: Auf die Qualität der Ausbildungsberufe kommt es an, damit die duale Berufsbildung eine Zukunft hat.
Fazit: In diesem Buch werden wichtige Ergebnisse der Berufsforschung präsentiert. Die Kernaussage des Autors lautet: Die Qualität der Ausbildungsberufe ist entscheidend, nur dann ist die duale Berufsbildung zukunftsfit. Im Hinblick auf den Generationenwandel, die Digitalisierung und die Globalisierung erscheint es wichtig, die Berufszufriedenheit zu stärken. Neben der optimalen Berufswahl sind die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Auszubildende und spätere Berufstätige motiviert sind und ihre Beschäftigung mit Freude ausüben.

Das Thema ist hochaktuell. Die Ablösung von menschlichen Produktionszyklen durch Computerprogramme verlangen als Gegenpol die Beachtung menschlicher Fähigkeiten, wie Kreativität, Individualität, Engagement, Ethik und Motivation. Von Rauner (2019) beschriebene Faktoren wie berufliche Identität und Qualitäts- bzw. Verantwortungsbewusstsein, Arbeitsmoral und Berufsethik, Kompetenz und Entwicklungspotenzial sollten bereits in den diversen Ausbildungsprozessen Beachtung finden. Daher kann dieses Buch insbesondere Lehrenden und Entscheidungsträger*innen in der dualen Ausbildung dazu dienen, die Zusammenhänge von Ausbildungsqualität und den oben genannten Faktoren zu verstehen.

Eine Rezension von Andrea Gundolf

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