von Barbara Müller & Brigitte Teigeler (Hrsg.)
Hogrefe Verlag, Bern, 2024, 128 Seiten, 29,95 €, ISBN 978-3-456-86265-1
Die Bedarfe von Personen, die pflegerisch versorgt werden, haben sich in den letzten Jahren aufgrund von demographischem Wandel, sich verändernden Familienstrukturen, zunehmenden chronischen Erkrankungen, Multimorbidität im Alter und einer immer leistungsfähigeren Medizin verändert. Neben einer stärkeren Einbindung ehrenamtlich tätiger Personen und digitalen Lösungen, sind Bildungsprogramme ein Lösungsansatz dieser zunehmenden Komplexität zu begegnen. Die Robert-Bosch-Stiftung hat bereits vor In-Kraft-Treten des Pflegeberufegesetzes im 360 Grad Vorhaben Projekte zur Erprobung von Qualifikationsmixmodellen in verschiedenen Versorgungsbereichen (akutstationär, langzeitstationär, ambulant und Rehabilitation) gefördert. Seit dem Pflegeberufegesetz ist neben der beruflichen Ausbildung zur Pflegefachperson eine Berufszulassung auch über ein primärqualifizierendes Studium zu erlangen. In der Schweiz hat die Umstellung auf ein gestuftes Bildungssystem, das eine Qualifikation zur Fachfrau / zum Fachmann Gesundheit und daran anschließend Pflegefachpersonen auf dem Niveau Höhere Fachschule und Fachhochschule qualifiziert bereits vor knapp zwanzig Jahren stattgefunden. In der Schweiz ist zudem die Etablierung die Rolle der Advanced Nurse Practicioner in den letzten Jahren vorangetrieben worden. Für Deutschland hat Gesundheitsminister Lauterbach in Eckpunkten für das Pflegekompetenzgesetz ebenfalls eine Stärkung des Berufsbilds der Advanced Practice Nurse beschrieben. Im Rahmen des Forschungsprogramms zur Pflegebildung und zum Pflegeberuf des Bundesinstituts für Berufsbildung wird aktuell ein Projekt zur Durchlässigkeit des Bildungssystems in der Pflege durchgeführt.
Der Sammelband greift diese Dynamik auf und vereint in drei Teilen unterschiedliche Beiträge, von einer Literaturübersicht zum Thema Qualifikationsmix durch eine der Herausgeberinnen, über Interviews mit Martin Egerth, Prof. Dr. Weidner und Prof. Dr. Sermeus bis hin zu Projektberichten aus konkreten Einrichtungen.
Im ersten Teil, der mit „Den Qualifikationsmix neu denken“ überschrieben ist, geben fünf Beiträge Einblicke die Prozessabläufe von Skill- und Grademixprojekten, den Auswirkungen von temporär arbeitenden Personen, Personalausstattung und Personalbemessung in Krankenhäusern, einen Blick über den Tellerrand in Teamkulturprozesse der Luftfahrt und die Etablierung eines Leitungskompetenzteams am Universitätsklinikum Freiburg.
Der zweite Teil „Impulse aus der Pflegewissenschaft“ beginnt mit einem Interview mit Prof. Dr. Sermeus, dem europäischen Koordinator des RN4CAST Projekts und Direktor der Magnet4Europe Studie. Er legt dar, dass es Hinweise darauf gibt, dass ein gelungener Qualifikationsmix sowohl zu besseren Outcomes für die zu versorgenden Personen als auch zu einer höheren Zufriedenheit des Personals führt. Es bedarf weiterer Studien, um diese Hinweise zu stützen. Weiterhin räumt er ein, dass in einem schlechten Arbeitsumfeld, Veränderungen des Qualifikationsmix oder der Personalausstattung kaum Wirkungen zeigen. Brigitte Teigeler beschreibt im anschließenden Beitrag, die Auswirkungen von erforschten Qualifikationsmixmodellen. Diese reichen von geringerer Sterblichkeit, höherer Patientensicherheit, steigender Personalzufriedenheit, wenn ein optimaler Qualifikationsmix eingesetzt werden kann. Ist dies nicht der Fall, erhöht sich laut Griffiths (2019) die Häufigkeit unterlassener Pflege. In einer Studie von Needleman aus dem Jahr 2017 konnte gezeigt werden, dass dies auch positive Effekte auf die Wirtschaftlichkeit von Krankenhäusern haben kann. Prof. Dr. Weidner berichtet anschließend in einem Interview von den Erfahrungen der wissenschaftlichen Begleitung des 360-Grad-Projekts der Robert-Bosch-Stiftung und resümiert, dass der Qualifikationsmix funktioniert und dass darüber das Verständnis der einzelnen Berufsgruppen innerhalb der Pflege gestärkt werden kann.
Der dritte Teil „Best-practices im Pflegealltag“ zeigt an acht Projekten wie Qualifikationsmixmodelle bereits heute in der Pflege genutzt werden.
Ein Großteil der acht Projekte werden an Universitätskliniken umgesetzt. Vor den einzelnen Beiträgen findet man eine tabellarische Übersicht mit Projekttitel, Projektort, Ansprechpersonen und Mailadressen. Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein gibt es eine Projektgruppe „Starke Pflege“. Aufbauend auf Erfahrungen aus dem 360-Grad Projekt, sollen in diesem Projekt die Aufgabenverteilungen innerhalb der Pflegeteams und der interprofessionellen Zusammenarbeit evaluiert und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden. Der hier eingebrachte Beitrag beschreibt die Ergebnisse von 13 Interviews mit 17 Pflegefachpersonen von sechs Stationen. Die AutorInnen empfehlen als Ergebnis ein an die Qualifikation gekoppeltes Aufgabenspektrum, das über ein Kompetenzmodell strukturell verankert ist. Daran schließt ein Beitrag aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf an, dass ein Kompetenzmodell entwickelt hat, welches in verschiedenen Projekten praktisch erprobt wurde und bereits 2020 erstmals revidiert wurde. In diesen Projekten sind Fragen der Komplexität in der Versorgung von Patienten und Patientinnen von hoher Bedeutung. Auch am Universitätsklinikum Heidelberg wurde auf Basis des DQR, den Kompetenzstufen nach Dryfuss und Aspekten der Berufserfahrung ein Kompetenz-Erfahrungs-Qualifikations-Würfel“ entwickelt. Einen anderen Blickwinkel nimmt das Projekt der Assistent:innen für Patient:innen am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide ein, das zur Entlastung der Pflegefachpersonen auf bettenführenden somatischen Stationen Personen in einer dreimonatigen qualifizierenden Schulung zu pflegeunterstützenden Tätigkeiten zu „Patientenassistent:innen“ qualifiziert. Der Frage nach evidenzbasierter Versorgung geht der Arbeitskreis EBN am Herz- und Diabeteszentrum NRW nach. Ein weiteres Projekt des Universitätsklinikums Heidelberg nutzt die Psychiatrie-Personalverordnung um diverse Teams aufzubauen. Skill- und Grade-Mix-Projekte aus Graz und Basel beschreiben im Sammelband abschließend ihre Erfahrungen. Eine zentrale Erkenntnis dabei ist, dass die Stationsleitungen eine Schlüsselposition einnehmen für den Erfolg des Skill- und Grademix.
Neu an diesem Sammelband ist, dass er unterschiedliche Beitragsformate zum Thema vereint und neben empirischen Beiträgen auch politische Aspekte beschreibt. Auch konkrete Hinweise zur Gestaltung von Projekten zur Einführung von Skill- und Grade-Mix können leitenden Personen als Unterstützung eigener Projekte dienen. Deutlich wird, dass es die Unterstützung der Organisationsleitung benötigt, um Prozesse und Teamstrukturen zu reorganisieren, um auch Barrieren und Hindernisse überwinden zu können. Alle empirischen Erkenntnisse des Sammelbands weisen darauf hin, dass qualifikations- und erfahrungsgemischte Teams sowohl zu einer höheren Qualität als auch zu einer steigenden Arbeitszufriedenheit führen. Theoretische Arbeiten zum Qualifikationsmix und unerwünschte Wirkungen werden nicht beschrieben. Hieraus ergeben sich Forschungsbedarfe, die aufzugreifen sind.
Der Band ist durch die drei Teile sehr übersichtlich gestaltet. Die Tabelle zu Beginn der konkreten praktischen Beispiele mit Ansprechpersonen ist für Personen, die sich mit eigenen Projekten auf den Weg begeben, hilfreich. Die einzelnen Beiträge unterstützen die Ausführungen wo nötig mit Tabellen oder Abbildungen, so dass die wesentlichen Erkenntnisse leicht erfassbar sind.
Speziell für Deutschland wird aufgrund der Reformen der letzten Jahre eine Reorganisation von Prozessen erforderlich, die sowohl die seit 2020 geltenden Qualifikationsstrukturen berücksichtigt als auch im Sinne der vorgelegten Eckpunkte des Pflegekompetenzgesetzes die Berufsbilder der Advanced Practice Nurse einbezieht. Die Einbindung dieser Berufsbilder in die direkte Versorgung ist nach den Beiträgen des Sammelbands auch für die Schweiz und Österreich noch zu entwickeln. Hier gibt der Sammelband einen Einblick in aktuelle Projekte und den Stand der Entwicklung.
Den Fokus auf Pflegeentwicklung und Akademisierung mit Blick auf gerontologische Pflege legen in ähnlicher Weise Michael Schilder und Thomas Boggatz in ihrem Sammelband dar, der 2022 veröffentlicht wurde. In diesem Sammelband werden sowohl Erkenntnisse aus der akutstationären als auch der langzeitstationären Versorgung beschrieben.
Wünschenswert wäre gewesen, in einem einleitenden Beitrag der Herausgeberinnen zu beschreiben, an wen sich das Buch richtet und vor welchem Hintergrund das Buch entstanden ist. Weiterhin fokussiert der Sammelband die akutstationäre Versorgung. Als Ergänzung dazu wird im Band von Schilder und Boggatz (2022) die Situation in der langzeitstationären Versorgung beschrieben. Hinsichtlich der Entwicklung eines Skill- Grade Mixes bleibt auch die Perspektive der ambulanten Versorgung offen.
Der Sammelband ist kurzweilig zu lesen und kann sowohl für Führungspersonen als Inspiration dienen, die eigene Projekte umsetzen wollen als auch für Studierende, die sich im Rahmen des Studiums mit aktuellen Entwicklungen in der Versorgungspraxis beschäftigen.
Eine Rezension von Prof. Dr. Miriam Peters
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