Care Work 4.0 – Digitalisierung in der beruflichen und akademischen Bildung für personenbezogene Dienstleistungsberufe 

care work 4.0 digitalisierung bildung personenbezogene dienstleistungMarianne Friese (Hg.)
Care Work 4.0 
Digitalisierung in der beruflichen und akademischen Bildung für personenbezogene Dienstleistungsberufe 

Verlag wbv, Bielefeld, 2021, 272 Seiten, 49,90 €, ISBN 978-3-7639-6054-5, Reihe: Berufsbildung, Arbeit und Innovation; Band Nr. 58, Publikation ist frei zugänglich unter wbv-open-access.de

Digitalisierung als Motor gesellschaftlicher Transformation der Arbeits- und Lebenswelt im 21. Jahrhundert führt zu vielschichtigen Fragestellungen im Bereich des Care Sektors, die durch die Corona-Pandemie noch deutlicher konturiert wurden. In der berufspädagogischen und sozialwissenschaftlichen Forschung fanden diese Fragestellungen bislang wenig Berücksichtigung. Der Sammelband greift das Forschungsdesiderat auf und stellt die zentralen Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung für die berufliche und akademische Bildung personenbezogener Dienstleistungsberufe heraus. 

Die Herausgeberin Marianne Friese ist Professorin für „Berufspädagogik / Didaktik der Arbeitslehre“ am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Gießen. Mit ihren Forschungsschwerpunkten u. a. in den Bereichen berufliche Bildung oder Professionalisierungsprozesse in personenbezogenen Dienstleistungsberufen hat sie den Begriff „Care Work“ im deutschsprachigen Raum vorrangig etabliert und hierzu vielfach publiziert. Das Buch Care Work 4.0 ist in der Reihe „Berufsbildung, Arbeit und Innovation“ erschienen und richtet sich daher an Fachkreise der Berufsbildungsforschung. 

Die Herausgeberin bündelt, nach einer von ihr verfassten übergeordneten Einführung, die 17 Beiträge von insgesamt 30 Autor:innen in die fünf Berufsfelder des Care Sektors: Das Berufsfeld Gesundheit, das Berufsfeld Pflege, das Berufsfeld Altenpflege, das Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft und das Berufsfeld Soziale Arbeit und Sozialpädagogik. Mit der Differenzierung in die Berufsfelder sowie der weiteren Aufschlüsselung in die berufliche Bildung, die akademische Bildung, die betriebliche Bildung und die Lehrer:innenbildung in den Fachrichtungen personenbezogener Dienstleistungen bildet der Sammelband die Breite aber auch die strukturellen Ebenen des Care Sektors ab, die es in Bezug auf die Digitalisierung zu berücksichtigen gilt. Die Beiträge des interdisziplinär zusammengesetzten Autor:innenteams sind unabhängig voneinander lesbar, wobei jedoch erst die tiefgreifende Gesamtlektüre Schnittstellendiskurse der Arbeits-, Sozial- und Berufswissenschaft zur Digitalisierung im Care Sektor aufdeckt. 

Das Buch Care Work 4.0 spricht dem Berufsfeld Gesundheit mit vier Beiträgen den größten Umfang zu. Es wird der Diskurs aufgenommen, warum die Digitalkompetenzentwicklung, z. B. im Bereich Informationstechnologien, in der beruflichen Lehrer:innenbildung im Humandienstleistungsbereich ansetzen muss, um den Transfer in die Ausbildung personenbezogener Dienstleistungsberufe zu gewährleisten. Neben der klassischen Lehrer:innenbildung wird auch das betriebliche Bildungspersonal des dualen Systems in den Blick genommen. 

Im Berufsfeld Pflege wird der Bereich des digital gestützten Arbeitshandelns angesprochen, der Pflegeprozesse grundlegend verändern kann. Hervorgehoben wird die Herausforderung, eine kritisch-reflexive Perspektive neben einem reinen anwender:innenorientierten Blickwinkel einzunehmen. Den Weg für die digitale Kompetenzentwicklung ebnet die pflegerische Aus-, Fort- und Weiterbildung, indem sie pflege- und mediendidaktische Lernumgebungen schafft, die lernortübergreifend konzipiert sind. Eine weitere Perspektive im Berufsfeld Pflege ist die, dass über digitale soziale Netzwerke eine Zusammenarbeit der Lehrkräfte zur curricularen Umsetzung des neuen Pflegeberufereformgesetzes gelingen kann, wodurch Potentiale für das gemeinsame Wissensmanagement offengelegt werden. 

Für das Berufsfeld Altenpflege wird der Diskurs eröffnet, wie durch die Integration von Lebens-, Arbeits- und Lernräumen eine Senior:innenhilfe 4.0 gelebt werden kann. Auch über die robotergestützte Pflege wird im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse gesprochen und zugleich eine Weiterbildung in der Altenpflege angeregt, die ihren Schwerpunkt in der „Entfaltung des Humanpotentials“ legt. Mit zwei Beiträgen nimmt das Berufsfeld Altenpflege einen geringeren Umfang ein. 

Im Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft werden für den privaten Haushalt die Potentiale smarter Haushaltstechnologien im Care-Bereich dargestellt. Ein weiterer Schwerpunkt für dieses Berufsfeld sind die Förderung von Digitalkompetenzen in der schulischen und betrieblichen Ausbildung sowie der Weiterbildung von Fach- und Führungskräften durch das Berufsbildungspersonal. Das Kapitel wird durch einen Beitrag abgerundet, der die berufliche Bildung im Bereich Ernährung und Hauswirtschaft adressiert. Damit diese einen Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen herstellen kann, wird die Videoplattform YouTube als Informationskanal für die Berufsorientierung vorgeschlagen. 

Im Berufsfeld Soziale Arbeit und Sozialpädagogik widmen sich die Beiträge u. a. den Themen, wie Digitalisierung die Sozialität verändert und wie dadurch neue Anforderungsmerkmale und Handlungsstrukturen hervorgebracht werden. Für die Lehrer:innenbildung in der beruflichen Fachrichtung Sozialpädagogik wird vorgeschlagen, die Lebensweltorientierung als Reflexionsfolie zu nutzen, wenn digitale Lehr- Lernszenarien in der Hochschullehre entwickelt werden. Im abschließenden Beitrag des Kapitels laufen die Stränge der veränderten Arbeitsaufgaben im sozialpädagogischen Arbeitsfeld und der Lehrer:innenbildung in der beruflichen Fachrichtung Sozialpädagogik zusammen. Arbeitsanalysen und deren didaktische Aufbereitung können für die Empirie in diesem Bereich handlungsleitend sein. 

Der Sammelband Care Work 4.0 bildet den gegenwärtigen Stand der Digitalisierung der beruflichen und akademischen Bildung im Bereich Care Work ab und zeigt aktuelle Spannungsfelder und Innovationspotentiale auf. Die kritisch-ethische Reflexion der Leser:innenschaft bezüglich des Nutzens und der Risiken der Digitalisierung für den Care Sektor wird kontinuierlich angeregt, da aus einem ganzheitlichen Blickwinkel auf sozioökonomische sowie -kulturelle Hemm- und Förderfaktoren rekurriert wird. In diesem Kontext werden auch Bezüge zur Professionsentwicklung des Care Bereichs hergestellt. Die fünf Berufsbereiche als interne Ausdifferenzierung des Care Sektors sind zunächst strukturschaffend. Im Kontext der Einführung des Pflegeberufereformgesetzes und der damit einhergehenden generalistischen Pflegeausbildung stellt sich jedoch die Frage, warum eine Differenzierung zwischen den Berufsfeldern Pflege und Altenpflege vorgenommen wurde. Diese Frage stellt sich auch vor dem Hintergrund, dass die Beiträge des Berufsfeldes Pflege für den Kontext der Altenpflege höchst relevant sind, wie beispielsweise die digitale Netzwerkarbeit von Lehrer:innen im Zuge der Umsetzung des Pflegeberufereformgesetzes. Gleiches gilt auch für das Berufsfeld Gesundheit, in dem die Beiträge im Bereich lehramtsbildender Studiengänge auch die Fachrichtung Pflege adressieren. Die Strukturierung des Sammelbandes wirft daher den übergeordneten Diskurs zur Berufsfeldstrukturierung im Care Sektor auf, den es zeitnah zu führen gilt. In diesem Kontext muss auch beantwortet werden, welche Berufe diesem zugehörig sind. Einleitend wäre zunächst eine begriffliche Definition von Care Work und ggf. auch eine Abgrenzung vom Begriff „personenbezogene Dienstleistungsberufe“ wünschenswert, um unabhängig von weiteren Grundlagenwerken im Bereich Care Work eine kurze Einführung in das Themenfeld – ohne Bezug zur Digitalisierung – zu erhalten. Resümierend ist das Buch Care Work 4.0 für das wissenschaftliche Fachpublikum im Bereich der Berufsbildungsforschung sehr zu empfehlen, da es einen guten Überblick über aktuelle Diskurse über die Neuausrichtung von Care Work im Kontext von Digitalisierung schafft und zukünftige Forschungsdesiderate offenlegt. 

Eine Rezension von Meike Schwinger