Caro Ass e. V. (Hrsg.), Melanie Haumann
Assistenz in der Gesundheitsversorgung
Sozialassistenzt, Servicehelfer, Alltagsbegleiter
Thieme Verlag, Stuttgart, 2021, 588 Seiten, 39,99 €, ISBN 978-3-13-242683-2
Das Buch „Assistenz der Gesundheitsversorgung“ von Melanie Haumann richtet sich an Auszubildende in verschiedensten Assistenzberufen, die in der Gesundheitsversorgung tätig sind. Dabei sind sowohl diejenigen angesprochen, die einen (zumindest in einigen Bundesländern) staatlich anerkannten Abschluss erwerben – und deren Ausbildung 2 – 3 Jahre dauert – als auch jene, denen ein solcher Status nicht zugesprochen wird und deren Ausbildung lediglich 3 Monate umfasst. Dementsprechend setzt sich die Zielgruppe dieses Buchs sehr heterogen zusammen.
Das Buch ist von der Aufmachung und der benannten Zielsetzung her ein Arbeitsbuch, das im Sinne der Herausgeber ausbildungsbegleitend eingesetzt werden soll. Um einen niedrigschwelligen Zugang zum Durcharbeiten des Arbeitsbuches zu bieten, hat sich die Fachredaktion entschieden, in dem Buch konkret an den*die Auszubildende*n persönlich und mit dem vertraulichen „Du“ als Anrede zu adressieren.
Zum Herausgeber Caro Ass e. V. lässt sich recherchieren, dass es sich um einen im Jahr 2013 gegründeten Verein zur Förderung der Assistenzberufe im Sozial- und Gesundheitswesen handelt. Zweck des Vereins ist laut Satzung die Förderung der Jugendhilfe und der Berufsbildung – was maßgeblich durch die Ausbildung bildungs- und sozial benachteiligter Jugendlicher als Servicehelfer verwirklicht wird.
Zur Autorin Melanie Haumann finden sich im Werk keinerlei Hinweise. Weder auf der Verlagswebseite noch auf der Webseite des Vereins finden sich weitergehende Informationen zur Autorin. Eine Websuche gibt einen Hinweis darauf, dass Melanie Haumann die Ausbildungsleitung bei Caro e. V. innehaben/
gehabt haben? soll – diese Angaben ließen sich aber nicht verifizieren. Zur Fachexpertise der Autorin kann daher an dieser Stelle keine dezidierte Aussage getroffen werden.
Wie genau es zur Entstehung des Werkes kam, lässt sich nur indirekt ermitteln. Caro Ass e. V. ist – wie erwähnt – ein Verein, der sich spezifisch der Qualifikation im Assistenz- und Service-Bereich widmet. Förderer und Unterstützer dieses Vereins ist u. a. die Robert-Bosch-Stiftung. Es lässt sich vermuten, dass aus der jahrelangen Ausbildungserfahrung auf der einen und der Erstellung von Informationsflyern auf der anderen Seite die Idee entstand, ein spezifisches Arbeitsbuch zu entwickeln, das sich in der graphischen und sprachlichen Aufmachung von anderen Arbeitsbüchern abhebt.
Optisch ist das im DIN-A4-Format gehaltene, knapp 588 Seiten umfassende Buch ansprechend aufgemacht. Jedes Kapitel beginnt mit der Skizzierung der Zielsetzung. Es gibt zahlreiche Bebilderungen und Tabellen. Auch Anleitungen zu praktischen Übungen sind in einzelnen Schritten abgebildet und damit sehr gut nachvollziehbar dargestellt. Begriffsdefinitionen sind in farblich gesondert gekennzeichneten Kästchen abgesetzt – ebenso wie Beispiele und „Tipps und Tricks“. Als besonders wichtig erachtete Aspekte werden ebenfalls in gesonderten Kästchen hervorgehoben. Zum Ende eines Kapitels gibt es jeweils eine Geschichte aus der Praxis und ein „Check it“ mit Fragen zur Selbstüberprüfung. Die Schrift ist groß und im Fließtext werden immer wieder einzelne Begriffe oder Satzteile durch Fettdruck hervorgehoben. Die farblichen und graphischen Hervorhebungen sind in der Summe schon auffallend zahlreich und verwirren gelegentlich zumindest die Leser*innen, die andere Lehr-/Arbeitsbücher
gewohnt sind.
Es gibt in dem Arbeitsbuch auffallend viele Spiegelstrich-Auflistungen, die in der Summe an die Auflistung von „Checklisten“ erinnern. Wie leider in vielen Lehrbüchern fehlen auch in diesem Buch an fast allen Stellen Quellenbezüge und korrekte Zitationen. Bei allem Verständnis für die Zielsetzung, sich von „klassischen“ Fachbüchern abheben zu wollen, erscheint dieses Fehlen nicht geeignet, einen differenzierten Umgang mit Literatur zu erlernen.
Das Buch startet mit verschiedenen „Steckbriefen“ fingierter Auszubildender in den unterschiedlichen Assistenzberufen. Der anschließenden Gliederung entnimmt man, dass der Einstieg zunächst auf die eigene Lernbiographie ausgerichtet ist (Kapitel 1 „Lernen lernen“) und sich mit Aspekten der Berufsbilder befasst (Kapitel 2 „Mein Beruf“). Es folgt ein umfassendes Kapitel (Kapitel 3 „Mit Menschen arbeiten“), das sich mit der Beziehungsgestaltung allgemein und im Hinblick auf spezifische (vulnerable) Personengruppen und rechtlichen Grundlagen befasst – im anschließenden Kapitel (Kapitel 4 „Für Menschen sorgen“) werden Bedürfnisse und Lebenswelten von Menschen thematisiert und konkrete Handlungsfelder wie Aktivierung, Haushaltsführung, Essen und Trinken und Dokumentation angesprochen. Im fünften Kapitel („Körperpflege – Hygiene – Krankheitszeichen“) geht es dann abschließend um Assistenz in der (Körper-)Pflege, Hygiene, Krankheitszeichen und Notfallhandeln.
Man kann durchaus Fragen an diese Zuordnung und den damit festgelegten roten Faden stellen – etwa, warum die Ausführungen zu den Aktivitäten des täglichen Lebens nicht auch unter Kapitel 4 „Für Menschen sorgen“ gefasst werden und mit insgesamt 30 Seiten deutlich kürzer sind als die Ausführungen zur Haushaltsführung.
In den einzelnen Kapiteln sticht ein klarer – an vielen Stellen aber auch stark vereinfachender – Sprachstil heraus. Viele der proklamierten Aussagen sind dabei durchaus streitbar. So findet sich auf Seite 23 etwa die Aussage „Leider kann man nur durch Prüfungen kontrollieren, ob die Lernziele erreicht wurden“ – auf Seite 51 findet sich als Definition für Pädagogik, dass es dabei darum gehe, „Menschen dabei zu unterstützen, Regeln zu lernen, die im Leben und in der Gesellschaft wichtig sind“ – auf Seite 62 wird Kompetenz als „ein anderes Wort für Fähigkeit“ beschrieben und auf Seite 157 findet man die Aussage „Das Alter beginnt also mit dem Ende des Arbeits- und Berufslebens“. An diesen beispielhaft genannten Zitaten wird deutlich, dass das Arbeitsbuch zum einen sehr normativ ausgelegt ist – und zum anderen an teilweise veralteten Begriffsbestimmungen festzuhalten scheint. Im ergänzenden Fließtext wird nicht dazu angeregt, ein eigenes Verständnis zu diesen Begriffen zu entwickeln.
Auch an anderen Stellen wirkt der normative Charakter des Buches irritierend. So wird im Kapitel Ethik z. B. lediglich auf das Grundgesetz verwiesen – zentrale Rahmensetzungen aber – wie z. B. die UN-Kinderrechtskonvention oder die UN Behindertenrechtskonvention werden nicht thematisiert. Eine Aussage wie „Berufsethik im Umgang mit betreuten Menschen – so geht´s“ – gefolgt von einer Spiegelstrich-Auflistung – wirkt stark vereinfachend und scheint kaum geeignet, auf die Komplexität ethischer Aspekte in den Assistenzberufen oder gar ethische Dilemmata vorzubereiten.
Problematisch erscheint auch, dass komplexe ausgefeilte Konzept – wie z. B. „Detached Concern“ unmittelbar und unkommentiert zwischen Zitaten aus dem Kleinen Prinzen stehen (S. 75). Es wird damit in gewisser Weise assoziiert, dass literarische Aussagen in der Alltagsrealität denselben Stellenwert haben wie wissenschaftliche Erkenntnisse.
Zumindest für den Bereich Pflege stellen sich damit deutliche Fragen an das Werk. Angesichts der Tatsache, dass in vielen Bundesländern eine nahtlose Integration der auf Helfer-/Assistenzniveau ausgebildeten Personen in das zweite Ausbildungsjahr der generalisierten Ausbildung möglich ist, müsste ein Lehrbuch für diese Zielgruppe eine entsprechende Vorbereitung gewährleisten können. Dazu würde gehören, dass Elemente zur Selbstreflexion, zur differenzierten (wissenschaftlichen) Betrachtung verschiedener Themen und zur eigenständigen Auslegung erlernter Inhalte in ein Arbeitsbuch integriert sind.
Zusammenfassend erscheint der Ansatz, ein übergeordnetes Lehr-/Arbeitsbuch für die Assistenzsberufe in der Gesundheitsversorgung erstellen zu wollen, eventuell zu ehrgeizig. Ausbildungen, die mit 3 Monaten auf EQR-Niveau 1 anzusiedeln wären, erlauben sicherlich eine klare, stark normative und „checklistenorientierte“ Darstellung der Lehrinhalte, wie sie in dem Buch vorliegen. Ausbildungen hingegen, die zu einer staatlichen Anerkennung führen und auf ein, zwei oder sogar drei Jahre angelegt sind und die in der späteren Ausübung der Berufe ein erheblich größeres Maß an Eigenständigkeit und damit auch Verantwortung beinhalten, werden mit einem solchen Lehr-/Arbeitsbuch kaum auf die Ansprüche ihrer späteren Tätigkeit vorbereitet.
Sicherlich ist das vorliegende Werk zunächst einmal ein ansprechendes Lehrbuch, das in der graphischen Aufmachung und der einfachen Sprache ein niedrigschwelliges Lehrangebot darstellt. In der Gesamtschau aber erscheint es an vielen Stellen zu stark vereinfachend und benötigt aus meiner Sicht in der Handhabung in jedem Fall ergänzende Erläuterungen, um die Lernenden nicht in eine falsche Richtung zu lenken.
Eine Rezension von Prof. Dr. Anke Fesenfeld