Emanzipationsgeschichte der Logopädie in Deutschland

emanzipationsgeschichte der logopädie in deutschlandHeidrun Macha-Krau, Dietlinde Schrey-Dern
Emanzipationsgeschichte der Logopädie in Deutschland
Wie wir’s wurden – wer wir sind

Schulz Kirchner Verlag, Idstein, 2021, 312 S., 39,00 €, ISBN: 978-3-8248-1288-2

Heidrun Macha-Krau studierte ehabilitationspädagogik und Kommunikationswissenschaften an der Humboldt-Universität u Berlin. Sie ist zudem staatlich anerkannte Logopädin sowie iplom-Pädagogin und promovierte an der Universität Bielefeld im Fach Pädagogik. Seit 1976 arbeitet sie als niedergelassene Logopädin in einer Gemeinschaftspraxis und ist in der Hochschullehre im Fachbereich Klinische Linguistik an der Universität Bielefeld als Lehrbeauftragte seit vielen Jahren tätig. Heidrun Macha-Krau ist Autorin mehrerer Veröffentlichungen zur Geschichte der Logopädie, zur Frauenarbeit und Professionalisierung.

Dietlinde Schrey-Dern studierte Romanistik und Erziehungswissenschaften an der RWTH Aachen, absolvierte das 1. und 2. Staatsexamen für das Lehramt am Gymnasium, arbeitete als Assistentin im Fachbereich Romanistik an der GHS Paderborn und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Landesinstitut für Lehrerfort- und Weiterbildung des Landes NRW. Seit 1986 ist sie staatlich anerkannte Logopädin und war in der Hochschullehre u. a. im Studiengang Lehr- und Forschungslogopädie an der RWTH Aachen als Lehrbeauftragte tätig.

Frau Schrey-Dern ist seit 1992 Mitherausgeberin der bekannten Fachbuchreihe „Forum Logopädie“ beim Thieme Verlag.

Frau Macha-Krau engagiert sich seit vielen Jahren berufspolitisch und unterstützt breit die Entwicklung des Berufsfeldes der Logopädie in Deutschland. So war sie von 1991 bis 1995 Mitglied im Vorstand des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie e. V. (dbl) und anschließend Arbeitsgruppenleiterin im dbl für die AG Fachhochschule. 2016 initiierte Frau Macha-Krau die Gründung des Arbeitskreises (AK) Berufsgesetz, deren Sprecherin sie seit 2018 ist. Frau Macha-Krau beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit aktuellen Themen der Logopädie.

Frau Schrey-Dern hat seit 1988 zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten für den Deutschen Bundesverband für Logopädie e. V. (dbl) wahrgenommen: So ist sie Delegierte des dbl beim CPLOL, war von 1993 bis 2005 Vorstandsmitglied im CPLOL und arbeitet in zahlreichen dbl-Gremien mit (u. a. AG Europa / BKIB, AG Fachhochschule), war dbl-Vorstandsmitglied, Vizepräsidentin und Präsidentin. Frau Schrey-Dern beschäftigt sich ähnlich wie Frau Macha-Krau seit Jahrzehnten mit aktuellen Themen der Logopädie, die über rein fachliche Themen, wie z. B. Sprachentwicklungsstörungen (als Autorin), über Poltern (hier als Herausgeberin) bis hin zu berufspolitischen Themen vor allem zum Kontext der Akademisierung der Gesundheitsberufe in Deutschland reichen. 

Beide Autorinnen treiben maßgeblich die Akademisierung der Gesundheitsberufe in Deutschland, insbesondere die der Logopädie, voran. 

Die vorliegende Publikation gibt einen sehr guten Überblick über die Entwicklung der Logopädie in Deutschland. Dies erfolgt in der Darstellung als Emanzipationsgeschichte des Faches: angefangen von der Sprach-, Sprech- und Stimmtherapie in der Antike, im Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit (ca. 6. Bis 18. Jahrhundert), während der Zeit der Aufklärung mit neuen Erkenntnissen für die Sprach-, Sprech- und Stimmheilkunde, der ersten Verwurzelung und Etablierung der Logopädie von 1830 bis 1930, einem Kapitel zur Logopädie im Nationalsozialismus sowie zum Neuanfang in der BRD und der ehemaligen DDR bis hin zur Entwicklung vom Hilfsberuf zur Profession sowie zum professionellen Selbstverständnis und zur beruflichen Identität in der aktuellen Diskussion. 

Thematisch ist das Buch demnach sehr breit aufgestellt, „obwohl die Logopädie in Deutschland eine junge, sich gerade entwickelnde Wissenschaft ist“ wie beide Autorinnen in ihrem „Gruß an die Leser*innen“ schreiben (s. S. 15). Den LeserInnen wird die Lektüre des Buches durch eine stringente thematische und zeitliche Gliederung sowie durch eine sehr übersichtliche textuelle und graphische Gestaltung der einzelnen Kapitel gut lesbar und interessant aufbereitet präsentiert. Aktuelle Quellen fehlen dabei nicht.

Neu und spannend an der vorliegenden Publikation ist die Annäherung an die Geschichte aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln, die sich beschreiben lassen als (1) chronologisch, (2) biographisch unter Einbeziehung der Sicht von ZeitzeugInnen sowie (3) begriffs- und ideengeschichtlich. Dabei spielt die eigene Entwicklungsbiographie der beiden Autorinnen eine nicht unwesentliche Rolle, die prägend für die zahlreichen Aktivitäten in der Vergangenheit war und noch immer ist. Beide Autorinnen verstehen dabei ihre persönliche Geschichte „als Chance […], sich der Geschichte unseres Berufes, insbesondere auch den letzten 30 – 40 Jahren, zu nähern“ (s. ebd.).

Dadurch, dass das vorliegende Buch als „Projekt“
(s. ebd.) eine thematische Breite aufweist, werden ganz unterschiedliche Zielgruppen im rein fachlichen, aber auch im interdisziplinären und interprofessionellen Kontext angesprochen. Dies bietet die Chance auf einen Perspektivwechsel für andere Professionen – quasi die Weitung des eigenen Blickes „über den Tellerrand“ mit dem Ziel des besseren Verständnisses, aber vielleicht auch, um Akteur des Gestaltungsprozesses zu werden und so zu den für unsere Gesellschaft und dem Gesundheitssektor notwendigen Veränderungen mit beizutragen.

Die vorliegende Publikation ist hochaktuell, da es in Deutschland noch immer um die Diskussion der primärqualifizierenden Ausbildung an den Hochschulen für den Beruf der LogopädInnen geht, während dies im internationalen Vergleich längst zum Standard gehört. Überall im Ausland wird mit breiten Fach-, Methoden, Sozial- und Handlungskompetenzen evidenzbasiert, qualitätssichernd und eigenverantwortlich gearbeitet sowie wirtschaftlich gehandelt und geführt. 

Insgesamt handelt es sich um ein spannendes Buch mit sehr, sehr guter Recherche, was hoch zu werten ist, da das Buch in der Zeit der Corona-Pandemie entstand, die zwei „Lockdowns“ nach sich zog und so auch zur Schließung von Archiven und Bibliotheken führte. Inhaltlich gelingt es der vorliegenden Publikation sehr überzeugend, die nicht immer leichten Themen und damit verbundene Wertungen in ihrer Breite und Tiefe umfassend zu beleuchten.

Eine Rezension von Prof. Dr. habil. Claudia Wahn