Motivierende Gesprächsführung in der Psychiatrie

9783966050814Georg Kremer, Michael Schulz
Motivierende Gesprächsführung in der Psychiatrie

Psychiatrie Verlag, Köln, 2020, 20.00 €, 160 S., ISBN 978-3-96605-081-4

Beziehungsgestaltung ist ein zentrales Element im Bereich der gesundheitlichen Versorgung von Menschen. Besonders in der Psychiatrie kommt dem Thema eine ganz wesentliche Bedeutung zu. Doch wie lassen sich solche Situationen oder Begegnungen zwischen Menschen mit der Erfahrung einer psychischen Krise oder Erkrankung und professionell Helfenden gestalten? Ein Verfahren „mit dem Ziel der Klärung und Stärkung der Veränderungsbereitschaft“ (Kremer & Schulz, 2020, S. 8) ist die Ende der 1980er Jahre in den USA entwickelte Methode der Motivierenden Gesprächsführung.

Die Autoren Georg Kremer und Michael Schulz verfügen beide über umfassende Erfahrungen in der psychiatrischen Versorgung sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Georg Kremer ist psychologischer Psychotherapeut und promovierter Gesundheitswissenschaftler. Er ist Übersetzer der ersten deutschsprachigen Ausgabe von Motivational Interviewing und langjähriger Trainer des MI-Trainernetzwerkes. Michael Schulz ist promovierter und habilitierter Pflegewissenschaftler und ausgebildeter Gesundheits- und Krankenpfleger. Neben seiner Tätigkeit am LWL-Klinikum Gütersloh und in der Trägerverwaltung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ist er Honorarprofessor an der FH der Diakonie.

Das Buch ist in der Reihe PraxisWissen im Psychiatrie Verlag erschienen und stellt eine überarbeitete Neuauflage des bereits 2012 in der Reihe Basiswissen erschienenen Bandes mit dem gleichen Titel dar. Die Reihe PraxisWissen hat sich zum Ziel gesetzt, Grundlagen zu zentralen Themen der psychiatrischen Versorgung zu vermitteln.

Der Aufbau des Buches ist sehr übersichtlich und nachvollziehbar gestaltet. Insgesamt gliedert es sich in acht Kapitel oder Überschriften.

Zunächst führen die beiden Verfasser anhand der beiden Fragestellungen „Was ist Motivierende Gesprächsführung?“ und „Was kann Motivierende Gesprächsführung leisten?“ in das Thema ein. Hierfür stellen sie gleich zu Beginn die Verbindung zur psychiatrischen Versorgung und zu der Begegnung mit Menschen mit psychiatrischem Hilfebedarf her. Sie verweisen an dieser Stelle kurz auf die Entwicklung der Motivierenden Gesprächsführung, stellen eine Verbindung zur Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen her und beschreiben den Aufbau des Buches. Auch geben sie einen kurzen Überblick über die Studienlage zur Motivierenden Gesprächsführung.
Nach dieser kurzen Einführung geht es unter der Überschrift „Motivierende Gesprächsführung und Selbstbestimmung“ weiter. Die Verfasser zeigen die Bedeutung dieses Themas vor allem im Hinblick auf die Behandlung und Begleitung von Menschen mit langfristigem Versorgungs- und Unterstützungsbedarf auf. So verweisen sie u. a. auf die Wandlung des Verständnisses in der Zusammenarbeit zwischen Patient_innen und Behandler_innen und die Bedeutung der gemeinsamen Entscheidungsfindung, die durch die Motivierende Gesprächsführung unterstützt werden kann.
Unter der vierten Überschrift „Grundlagen der Motiverenden Gesprächsführung in der Psychiatrie“ erhalten die Leser_innen eine fundierte und anhand von gut ausgewählten Beispielen aus der Praxis illustrierte verständliche Beschreibung der wichtigen Elemente der Motivierenden Gesprächsführung.
Im fünften Kapitel „Vier Kernprozesse – fünf Kernkompetenzen“ beschreiben die Verfasser den Prozess vom Aufbau der Beziehung zu bis zur Planung der Veränderung. Daneben werden wichtige Kompetenzen der Motivierenden Gesprächsführung wie z. B. das Stellen offener Fragen beschrieben. Auch hier findet der Leser wieder zahlreiche Beispiele und Verknüpfungen zur Praxis.
Anschließend wird der Umgang mit veränderungskritischem Verhalten oder mit Sustain Talk und Dissonanz sowie Möglichkeiten zur Stärkung von Eigenverantwortung beschrieben. Diese Themen führen über die Grundlagen hinaus und können durchaus schon zu den erweiterten Kompetenzen in der Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung gezählt werden.
Im siebten Abschnitt geht es ganz konkret um die „Praxis der Motivierenden Gesprächsführung in der Psychiatrie“. Anhand von ganz konkreten Situationen aus der Praxis beschreiben Kremer und Schulz, wie im Sinne der Motivierenden Gesprächsführung vorzugehen ist. Das Kapitel ist mit mehr als 50 Seiten sehr umfangreich und unterstreicht damit noch einmal die Zielsetzung des Buches: Vermittlung von Grundlagen. Durch die unterschiedlichen und sehr gut beschriebenen Beispiele aus der Praxis wie z. B. zu den Themen „Erstkontakt in der psychiatrischen Institutsambulanz“, „Psychopharmaka“, „Suizidale Krise“ oder „Soziale Probleme einer Drogenabhängigen“ wird die Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung in der Praxis für den Leser nachvollziehbar und verständlich. Die gut gewählten Überschriften wie z. B. „Mit Ambivalenzen umgehen“ (S. 100) oder „Perspektivische Schlüsselfragen“ (S. 107) strukturieren dieses sehr umfangreiche Kapitel. Gerade in diesem Abschnitt zeigt sich der hohe praktische Nutzen des Buches für die Praxis.
Im abschließenden achten Kapitel berichten schließlich Mitarbeitende über ihre Erfahrungen mit der Motivierenden Gesprächsführung, ebenfalls anhand konkreter Situationen aus der Praxis. Auf den letzten Seiten des Buches folgt noch die die Darstellung der ausgewählten Literatur zu dem Thema.

Die Entwicklung des Konzeptes der Motivierenden Gesprächsführung geht zurück auf das Ende der 1980er Jahre. Seit 1999 gibt es eine deutsche Übersetzung des Buches von Miller und Rollnick. Die Fragen, die sich vor diesem Hintergrund stellen sind, ob das Thema im Jahr 2021 immer noch aktuell ist und ob es das Buch von Kremer und Schulz braucht? Die Antwort auf diese beiden Fragen lautet: „Ja, das Thema ist immer noch aktuell.“ und „Ja, es braucht dieses Buch!“. Vielleicht braucht es dieses Buch sogar stärker als zuvor. In einer Zeit, in der sich die Krisenerfahrung durch die COVID-19 Pandemie auf die gesamte Gesellschaft bezieht, wird vielleicht deutlich, wie wichtig die Themen Motivation und Umgang mit Veränderungen sind. Die Motivierende Gesprächsführung ist eine wertschätzende und respektvolle, klientenzentrierte Methode, mit dem Ziel, die Veränderungsbereitschaft von Menschen zu klären und sie darin zu unterstützen. Der besondere Nutzen an dem Buch von Georg Kremer und Michael Schulz in der Reihe PraxisWissen ist, dass es sich direkt an die Menschen in der unmittelbaren Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen richtet. Hierfür bietet es eine sehr gut strukturierte und gut lesbare Einführung in die und Beschreibung der Grundlagen der Motivierenden Gesprächsführung. Darüber hinaus besticht es durch das umfassende Kapitel zur Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung in der Praxis und die für diesen Zweck ausgewählten Beispiele und Beschreibungen der Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung.

Das Buch „Motivierende Gesprächsführung in der Psychiatrie“ von Kremer und Schulz ist unbedingt zu empfehlen. Es bietet einen sehr guten grundlegenden Überblick und Einstieg in die Motivierende Gesprächsführung und die Anwendung mit Fokus auf die psychiatrische Versorgung, aber auch darüber hinaus. Damit erfüllt es sein Ziel zu 100 %. Kremer und Schulz verfügen über umfassende Erfahrungen in der Schulung und der Anwendung der Motivierenden Gesprächsführung und das wird in allen Kapiteln in dem Buch deutlich. Besonders der sehr umfangreiche und gut strukturierte Praxisteil überzeugt durch die praxisnahe und gute Darstellung sowie zahlreiche gut ausgewählte Beispiele aus der Praxis. Damit ist das Buch ein wertvolles Grundlagenwerk, das zur Standardliteratur für Personen gehören sollte, die selbst im Bereich der psychiatrischen Versorgung tätig sind.

Eine Rezension von Prof. Dr. André Nienaber